Schrammen auf der Haut, Narben auf der Seele
- Das Dynamis-Blogger-Team

- 16. Okt.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 27. Okt.
Kairos Farm - Denkweisen ändern mit der Machete
„Wasuze otya! Osula bulungi?“, werden wir am Morgen auf Kairos Farm begrüßt. Die Luft ist angenehm kühl, Bodennebel zeichnet das Land weich und das Gras schmatzt bei jedem Schritt unter den Sohlen. Der Hahn, der uns seit 4 Uhr morgens gefühlt jede Viertelstunde aus dem Schlaf gekräht hat, scheucht die Hühner mit stolz geschwelltem Kamm vor sich her, während dutzende von Webervögeln geschäftig zwitschernd zwischen den kunstvoll geformten Hängenestern ihres überbevölkerten Baumes hin und her flattern.

Wir, elf In-Your-Shoes-Trip-Abenteurer zwischen 19 und 66 Jahren, haben uns vor wenigen Tagen von Fürth aus zu einem zweiwöchigen Dynamis-Hilfseinsatz nach Uganda aufgemacht. Unsere Mission: Den Startschuss setzen für die landwirtschaftliche Nutzung von Kairos Farm, Kinder der Lwamata und Kairos School besuchen und ein Medical Outreach für mittellose Patienten unterstützen. Doch an diesem Morgen teilen wir uns erst einmal ein Bad – die Freiluft-Latrinen erfordern mit ihren etwa 10x20 cm großen Bodenöffnungen geübte Treffsicherheit und eine unerschrockene Nase – besprechen den Tag, beten und frühstücken. Es gibt Tee und Kaffee, Rührei mit Toast, Berge von Mini-Bananen, fleischigen Mangos, butterweichen Avocados und mundgerechte Stücke von Jackfrucht, einer noppenüberzogenen, melonengroßen, ovalen Frucht, die nach Gummibärchen schmeckt.
Dann wird in die Hände gespuckt. Denn der Traktor, den wir mit den Geldern unserer Spendenaktion „Ein Traktor für Patienten“ einweihen wollten, ist zwar bestellt, aber noch nicht geliefert. Also erwarten uns Hacken und Macheten und etwa 3 Acre verwilderten afrikanischen Buschs, der per Hand gerodet werden muss. Seite an Seite mit den Farmarbeitern kämpfen wir zwei Tage lang Sträucher, Büsche und Dornengestrüpp nieder, investieren wortwörtlich Schweiß und Blut, um das Land für den Anbau von Mais und Kuhbohnen vorzubereiten. Unser Lohn: verständnislose Blicke und Kopfschütteln über die verrückten Muzungus, die ihren Urlaub auf einer Farm im ugandischen Nirgendwo verbringen, um sich die Hände wund und die Rücken krumm zu schuften.

Doch Emmanuel erklärt den Arbeitern, das Warum. Er erzählt ihnen, dass uns die Entwicklung von Kairos Farm am Herzen liegt; dass wir uns neben der Viehzucht für die landwirtschaftliche Nutzung der Farm einsetzen, mit dem Ziel langfristig dazu beizutragen, Menschen - allen voran bedürftige Kinder der Kairos und Lwamata School - mit Milch, Obst und Gemüse zu versorgen und den dauerhaften Betrieb des Kairos Hospital und die Behandlung mittelloser Patienten zu sichern. Das macht Eindruck auf die Arbeiter. Wir gewinnen ihre Achtung. Mehr noch, denn von da an scheint es, als ob sie nicht nur uns mit anderen Augen sehen, sondern auch ihre eigene Arbeit; nicht nur als Job zum bloßen Broterwerb, auch als Beitrag zu einem größeren Ganzen. Was für ein Change of Mindset!
Lwamata und Kairos School - Zwei Welten, eine Chance!
Wir erleben es wie den Besuch in zwei Welten: „Unsere“ Lwamata Dorfschule auf der einen Seite, in ländlicher Abgeschiedenheit nahe Kibogo, mit Lehmboden, einigen Holzbänken zum Sitzen, 2 Tafeln an der Wand und etwa 40 Kindern von der 1.-6. Klasse; Auf der anderen Seite die Kairos School inmitten des Trubels der Hauptstadt Kampala – 500 Kinder von Nursery bis Highschool, mehrere Stockwerke, Klassenräume mit Tischen, Stühlen, Tafeln und Unterrichtsmaterial. Gleichermaßen überwältigend jedoch empfinden wir die Herzlichkeit, mit der wir von der Lehrerschaft der beiden Schulen begrüßt werden, die ungestüme Begeisterung, mit der die Kids mit uns Fußball spielen, Stopp-Tanz, Seilspringen und vieles mehr, die Aufmerksamkeit, mit der sie unserem Anspiel und Geschichten lauschen, die Offenheit und Freude im Umgang mit uns.
Die Schülerinnen und Schüler der Kairos Highschool beeindrucken uns mit ihren Gesangs- und Tanz-Darbietungen ebenso wie mit den tiefgehenden Lebens- und Glaubensfragen an uns. Herr Jackson, der Schulleiter der Highschool, führt uns vor Augen, was für ein Gamechanger die Unterstützung der Schule durch Dynamis macht, ganz besonders im Leben der jungen Menschen, die nur dank einer Schulpatenschaft hier sein können. Etwa die Hälfte seiner Schülerinnen und Schüler erhalten ein Teilsponsorship, weil die Eltern nicht in der Lage sind das gesamte Schulgeld aufzubringen. Rund 50, überwiegend Waisen oder Kinder mittelloser Familien aus den angrenzenden Slums, sind auf eine vollständige Schulpatenschaft angewiesen. Sie wissen genau, dass Bildung der einzige Ausweg aus dem Slum ist und geben ihr Bestes, damit ihr großer Traum irgendwann wahr wird. Nicht zuletzt dieser Leistungsbereitschaft ist es zu verdanken, dass die Kairos School mittlerweile in ganz Uganda den hervorragenden Ruf genießt.
Tief berührt sind wir auch, als Herr Jackson erwähnt, dass einige aus der Lehrerschaft einen Teil ihres Einkommens nutzen, und sogar einige seiner Schüler und Schülerinnen diesem Vorbild folgen und Monat für Monat einen kleinen Betrag ihres Taschengeldes zusammenlegen, um einem Mitschüler aus dem Slum den Schulbesuch zu ermöglichen.
Slums und Medical Outreach - Grenzerfahrungen
Die Sozialarbeiterin, die uns mit in die Slums von Kampala nimmt, hält den Vorhang zu einer der Slumbehausungen zur Seite. Der Raum dahinter ist dunkel. Es gibt keine Sitzgelegenheit, noch nicht einmal Matten am Boden, nur nackte Erde. Wir drängen uns an der Außenwand zusammen, gehen in die Hocke, um mit dem jungen Mann zu sprechen, der uns hereingebeten hat. Er sitzt uns gegenüber, auf einer zerschlissenen Matratze, ist höchstens Ende zwanzig. An der Wand hinter ihm hängen ein paar Kleidungsstücke an Haken. Ansonsten herrscht Leere, kein Topf, kein Teller, kein Wasser, nichts. Doch, es gibt noch etwas, nicht sichtbar, aber für jeden von uns spür-, beinahe greifbar: Hoffnungslosigkeit. Eine Erfahrung, die schwer auszuhalten ist und uns unsere Grenzen aufzeigt. Wir wissen, wir können das Leben des jungen Mannes und vieler anderer hier nicht ändern, die Narben auf ihren Seelen nicht ungeschehen machen. Was wir jedoch können, ist zuhören, ermutigen, mit- und füreinander beten und zum Medical Outreach einladen, an dem wir mit dem Gesundheitsteam von Kairos Medical Center und Krankenhaus kostenlose, medizinische Untersuchung und Behandlung anbieten. Und genau das tun wir, bei ihm und vielen anderen.
Zwei Vormittage sind wir auf den Straßen im Slum unterwegs, sprechen mit Menschen und laden zum Medical Outreach ein. In den darauffolgenden Tagen unterstützen wir die Ärztinnen und Ärzte, Schwestern und Pfleger dabei, fast 300 Patienten und Patientinnen von jung bis alt zu untersuchen, zu testen, medizinisch zu beraten und zu versorgen und wo immer möglich mit Medikamenten auszustatten, gegen Infektions- und Durchfallerkrankungen, Bluthochdruck, Schmerzen und vieles mehr.
Die Zusammenarbeit mit dem Medical Team ist eine tolle Erfahrung. Gerade mit den herausfordernden Eindrücken aus dem Slum vor Augen, ist es gut, Menschen helfen zu können, die Tag für Tag um das Überlebensnotwendige kämpfen und dabei ohne Krankenversicherung auskommen müssen. Doch wir kommen auch hier an unsere Grenzen, emotional und praktisch. Zum Beispiel bei einer Diabetikerin, die dringend Medikamente braucht, die nicht verfügbar sind; oder bei einer jungen Frau, Anfang 30, ohne Schulbildung, von der eigenen Familie verstoßen, Witwe und Mutter von 6 Kindern, eines davon mit fortschreitendem Augenkrebs. Ein Auge musste dem Mädchen bereits entfernt werden und mit dem verbleibenden kann sie kaum noch etwas sehen.
Wieder zuhause und was nun?
Unser Einsatz in Uganda war herausfordernd und kräftezehrend, aber auch unfassbar erfüllend und bereichernd. Wir konnten Erfahrungen machen, die kein Tourist je teilen wird. Wir durften Menschen begegnen, die unsere Sicht der Dinge in der ein oder anderen Weise verändert, unseren Horizont erweitert, unser Mitgefühl wiederbelebt, uns die Dankbarkeit und Wertschätzung für unser eigenes Leben neu in Erinnerung gerufen haben.
Wir alle sind verändert von unserem In-Your-Shoes-Trip zurückgekehrt und auf die ein oder andere Weise werden wir alle dazu beitragen, weitere Veränderung zum Besseren bringen, sei es indem wir uns für die Arbeit von Dynamis einsetzen, die Schulpatenschaft für ein Kind übernehmen oder einfach anderen von unseren Erlebnissen erzählen.
Noch Fragen? Dann melde dich einfach an für unseren nah dran-Newsletter oder nimm direkt Kontakt zu uns auf. Und vielleicht magst du ja in den nächsten Wochen sogar mithelfen, unsere Weihnachtsaktion vorzubereiten oder gemeinsam mit uns über Herrn Jacksons großen Traum nachdenken: einen Schüleraustausch zwischen Kairos High School und deutschen Schülern. Wir freuen uns darauf, von dir zu hören.
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